Einschätzung des Senatsentwurfes vom 2.3. für ein Berliner Transparenzgesetz

Am 2.3. verabschiedete der Rot-Rot-Grüne Berliner Senat endlich einen Gesetzentwurf für ein Berliner Transparenzgesetz. Damit will er noch kurz vor Ende der aktuellen Legislaturperiode ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag von 2016 einlösen.(1)

Natürlich haben wir den Entwurf unter die Lupe genommen! Im Folgenden geben wir Euch eine Einschätzung: Welche Bereiche in Berlin sollen transparenter werden? Wo bleiben Politik und Verwaltung intransparent und wo verschlechtert sich die Transparenz sogar wegen des neuen Gesetzes gegenüber dem Status Quo? Schlussendlich beantworten wir die Frage wie der Entwurf des Senats im Vergleich zu unserem Transparenzgesetz-Entwurf und dem Hamburger Transparenzportal abschneidet.

Ein ganz normales Transparenzgesetz?

Wie für ein Transparenzgesetz üblich, werden auch in dem Gesetzentwurf des Senats Kategorien an Informationen festgelegt, die auf einer zentralen Online-Plattform von den Berliner Verwaltungen und der Regierung veröffentlicht werden sollen. In diesem Sinne stellt der Gesetzentwurf des Senats auf den ersten Blick eine Weiterentwicklung des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) dar.

Doch der Schein trügt. Der Senat will zahlreiche derzeit auskunftspflichtige Stellen von der Informationspflicht (also sowohl von der Pflicht zur Veröffentlichung, als auch von der Auskunftspflicht) weitgehend ausnehmen, darunter die Schulen, Hochschulen, die Steuerverwaltung (deren personenbezogene Daten bereits jetzt durch das Steuergeheimnis ausgenommen sind), die besonders korruptionsanfälligen Bereiche der Korruptionsprävention, der Vergabe, des Kartellamts und der Innenrevisionen. Da diese Bereiche derzeit auskunftspflichtig sind, will der Senat offenbar bestehende Transparenzpflichten abschaffen. Der Gesetzentwurf stellt dahingehend einen klaren Rückschritt zum bisherigen IFG dar.

Ein Gesetz mit Schlupflöchern

Es sollen zudem zahlreiche zusätzliche Ausnahmetatbestände geschaffen werden, die die Herausgabe von Informationen behindern sollen. Dabei ist nicht bekannt, dass es einen tatsächlichen Bedarf für die Ausweitung der bisherigen Ausnahmetatbeständen gäbe. Ausnahmen für die Tätigkeit der Polizei, eine Klausel für Rechtsmissbrauch, sowie die redundante Ausnahme für IKT-Sicherheit, die bereits in der öffentlichen Sicherheit enthalten ist, laden zu einer viel zu breiten Anwendung und praktischen Problemen ein.

Ein gefährliches Gesetz?

Auch im Bereich des Datenschutzes sieht der Entwurf bedenkliche Neuregelungen vor: Antragsteller:innen sollen gezwungen werden, beim Antrag ihre Identität preiszugeben. Wie dies konkret zu erfolgen hat, ist unklar. Es ist davon auszugehen, dass Antragsteller:innen aufgefordert werden, Kopien ihres Personalausweises an die Behörde zuzusenden. Dies stellt eine unnötige und den Datenschutz gefährdende Maßnahme dar, die dem Grundprinzip der Datensparsamkeit widerspricht.

Praktisch hat die vorgesehene Regelung keinen Zweck außer Abschreckung, da der Informationszugang eigentlich per se voraussetzungslos ist. Wer genau Informationen anfragt, sollte prinzipiell für eine Behörde unerheblich sein. In diesem Zusammenhang besonders gefährlich ist die Regelung zur grundsätzlich möglichen Weitergabe der Daten von Antragsteller:innen an Dritte. Eine solche Regelung ist äußerst ungewöhnlich und kann dazu führen, dass zum Beispiel die Namen und Privatanschriften von Journalist:innen, die zur Organisierten Kriminalität recherchieren, an Mitglieder krimineller Organisationen weitergegeben werden. Dies stellt eine ernstzunehmende Gefahr für die Pressefreiheit dar. Die Gefahr ist nicht abstrakt: In der Slowakei wurde der Journalist Jan Kuciak ermordet, nachdem eine Behörde vermeintlich seine Adresse nach einer IFG-Anfrage an einen Dritten weiterleitete.

Größe des Geldbeutels entscheidet weiterhin

Schlussendlich ist auch die im Entwurf festgelegte maximale Auskunftsfrist, die auf drei Monate verlängert wurde, international einzigartig. Längere Fristen gibt es weltweit nirgendwo. Gebühren, die nach dem IFG erst nach Auskunftserteilung fällig werden, können nach dem Entwurf des Senates von der informationspflichtigen Stelle bereits vor der Herausgabe der Informationen eingefordert werden. Damit entscheidet der eigene Geldbeutel noch stärker über die Bekanntgabe und Einsicht in politische Informationen. Chancengleichheit sieht anders aus.

Im Hinblick auf all diese Rückschritte kommen wir nicht umhin festzustellen, dass der Entwurf eine Verschlechterung der Informationsrechte der Bürger:innen im Vergleich zum derzeitigen IFG darstellt.

Gesetz bleibt hinter anderen Stadtstaaten zurück

Nicht verwunderlich ist da auch die Feststellung, dass eine Orientierung am Hamburger Transparenzgesetz in für die Informationsfreiheit zentralen Bereichen nicht erkennbar ist. Die oben genannten weitreichenden Ausnahmetatbestände gehen auch über das Hamburgische Transparenzgesetz hinaus. Zudem fehlen im Gesetzentwurf des Senats wichtige Informationen, die in Hamburg auf dem Transparenzportal veröffentlicht werden müssen, so zum Beispiel wesentliche Senats-Informationen, Tätigkeitsberichte oder Gutachten.

Organisationspflichten für die Politik und Verwaltung sind, anders als in Hamburg, im Senatsentwurf für Berlin überhaupt nicht festgelegt. Zum Beispiel sind Verträge in der Hansestadt so zu schließen, dass sie frühestens einen Monat nach Veröffentlichung wirksam werden und die informationspflichtige Stelle innerhalb dieser Frist vom Vertrag kostenfrei zurücktreten kann. Das sorgt dafür, dass die Öffentlichkeit ein Zeitfenster zur Bewertung des Vertrages hat. Auch die Beauftragte für Informationsfreiheit hat in Hamburg weitreichendere Befugnisse als der Senatsentwurf in Berlin es vorsieht.

Fazit: Verschlechterung des Status Quo

Alles in allem kann bei dem Gesetzentwurf des Senats weder von einer substantiellen Weiterentwicklung des IFG, noch von einer Orientierung am Hamburger Standard die Rede sein. Es handelt sich in Bezug auf das IFG in vielen Bereichen um einen deutlichen Rückschritt.

Die Ziele eines Transparenzgesetzes, nämlich die Nachvollziehbarkeit von politischen Entscheidungen zu erhöhen, eine gleiche Informationsbasis zwischen Bevölkerung und Politik herzustellen, die Kontrolle öffentlichen Handelns und einen gleichberechtigten Zugang zu Informationen zu ermöglichen und das alles unabhängig von den individuellen materiellen Voraussetzungen der Bürger:innen, werden durch diesen Gesetzentwurf nicht erreicht. Zum Beispiel in Bezug auf die investigative Arbeit von Journalist:innen und den Datenschutz gefährdeter Gruppen; sehen wir in den Ausführungen des Entwurfes ein deutliches Risiko.

Nach eingehender Betrachtung empfiehlt der Volksentscheid Transparenz deshalb den Fraktionen des Abgeordnetenhauses substantielle Verbesserungen des Entwurfs anhand der oben genannten Punkte vorzunehmen. Um dem Zweck eines Transparenzgesetzes gerecht zu werden, sollten sich die Fraktionen an unserem Gesetzentwurf orientieren. Die Verschlechterungen im Vergleich zum IFG müssen beseitigt und die Hamburger Regelungen als Mindeststandard übernommen werden. Wenn dies nicht geschieht, ist es besser keinen Gesetzentwurf zu verabschieden, als diesen.

Unser Gesetzentwurf kann hier eingesehen werden.

zum Gesetzentwurf des Senats

Übersichtstabelle Rückschritte zum Berliner IFG und zum Hamburgischen Transparenzgesetz

Kategorie Verschlechterung zum IFG Verschlechterung zum HmbTG
weitreichende Bereichsausnahmen Beispiele: Schulen und Hochschulen, Korruptionsprävention, Stiftungsaufsicht Beispiele: Landeskartellamt, Korruptionsprävention
neue und weitreichende einzelne Ausnahmetatbestände Beispiele: Polizei, Klausel für Rechtsmissbrauch Beispiel: Ausnahme bei schwerwiegender Gefährdung des Gemeinwohls gibt es in Hamburg nicht
zu lange Frist zur Herausgabe von Informationen weltweit einzigartige Verlängerung der Frist auf 3 Monate möglich beträgt in Hamburg 1 Monat, kann auf 2 Monate verlängert werden
Datenschutzprobleme Identitätspflicht und eventuell Weitergabe an Dritte
zu wenige veröffentlichungspflichtige Informationen Beispiele Hamburg: Gutachten, Vorblatt und Entscheidungssatz Senatsdrucksachen, sämtliche Tätigkeitsberichte
Gebühren für Anträge in Hamburg wenigstens Ausnahme für ALG II Empfänger*innen
Rechte der Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) Beispiel: in Hamburg kann Verstoß gegen Transparenzgesetz von BfDI gerichtlich festgestellt werden

(1) Im Koalitionsvertrag von 2016 heißt es auf Seite 154: “Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz wird weiterentwickelt in Richtung eines Transparenzgesetzes mit der Maßgabe, dass nicht schützenswerte Daten in der Regel auf dem Berliner Datenportal zur Verfügung gestellt werden.“